#neusprech. Lesen in digitalen Zeiten.

Was hat sich verändert? Lesen wir noch so wie vor der digitalen Medienrevolution? Genauso viel? Mehr? Oder können wir digital nur noch häppchenweise Wissen aufnehmen?

Aktuelle Studien zeigen, dass am Bildschirm neue Herausforderungen auf die Leserschaft warten. Ein Stichwort: Ablenkung.

„Stellen Sie sich vor, Sie halten einen Roman in der Hand, schlagen ihn auf, lesen die ersten drei Worte der ersten Zeile, springen zum nächsten Absatz und überfliegen den Rest des Kapitels nur noch am linken Textrand, während Sie nebenbei in das Schreiben vom Finanzamt schauen und gleichzeitig den Wetterbericht im Radio hören. Genau so könnte die Zukunft des digitalen Lesens aussehen.“

Heutzutage wird nicht weniger gelesen als früher – im Gegenteil. Aber Online-Lesen ist schneller, sprunghafter und oberflächlicher. Es wird nicht mehr klassisch linear (hintereinander), sondern zirkulär (herumhüpfend) gelesen. Denn online nehmen sich Lesende viel weniger Zeit für einzelne Texte. Sie wechseln zwischen den Medien, Artikeln und Webseiten hin und her. Dabei liegen zwischen den Klicks meist nicht mehr als vier Sekunden. Oft werden nur noch die ersten Wörter einer Zeile gelesen. Man springt von Stichwort zu Stichwort. Ziel ist es, alles auf einen Blick zu sehen und möglichst viel Wissen in kurzer Zeit zu erfassen.1 Adriaan van der Weel aus der Forschungsinitiative E-READ meint: „Selbstverständldich kann auf einem Tablet genauso eindringlich gelesen werden, es sei nur sehr viel weniger wahrscheinlich.“2 Denn das Lesen auf Smartphones und Tablets konkurriere mit der nächsten WhatsApp-Nachricht, einem Film auf YouTube oder dem blinkenden Pfeil am Bildschirmrand. Es ist die Ablenkung, die eine nachhaltige Beschäftigung mit Texten schwierig macht.

50 Prozent der Deutschen empfinden das Lesen digitaler Texte als anstrengend.3

59 Prozent lesen längere Texte lieber auf Papier; nur 7 Prozent gerne am Bildschirm. Doch der Generationenwechsel ist in vollem Gange: Nur noch 37 Prozent der 14- bis 29-Jährigen bevorzugen gedruckte Texte.

Insgesamt 51 Prozent können sich gedruckte Texte gut merken; nur 7 Prozent digitale Texte.

Das Lesen gedruckter Texte „unterstützt die Anregung der Phantasie, die Entwicklung von Empathie, die Entwicklung und Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und der Disziplin, die Erweiterung des Wortschatzes oder abstraktes Denken“, sagt Adriaan van der Weel von E-READ. „Wir werden sehen, inwieweit das Lesen am Bildschirm das ersetzen kann.“2

Die Plattform wissenschaft.de erkennt im Digitalen viele positive Effekte für das Lesen: Denn die digitale Welt hat überhaupt erst den Zugang für viele Menschen zu Informationen, Wissen und Bildung geschaffen. Dadurch würden sie mehr lesen und ihre Interessen weiterentwickeln – weil sie jederzeit und überall kostenlos darauf zugreifen können.4

Martin Appel, Leiter Online-Kommunikation, Internet, E-Government, VBL.

Und wie sieht es mit denen aus, die das Lesen am Bildschirm von klein auf gewohnt sind? Theresa Schilhab, Forscherin im Zentrum für Zukunftstechnologien, Kultur und Lernen in Aarhus, erzählt von sieben Jahre alten Schulkindern einer dänischen iPad-Schule, in der ohne Bücher gelernt wird. Die Kinder wurden nach ihren Lesegewohnheiten befragt: Überraschenderweise sagten die Erstklässlerinnen und Erstklässler, dass sie am liebsten in eine Bücherei gehen. Bei gedruckten Büchern würde ihnen die Entscheidung leichter fallen, was sie lesen wollen. Zudem gefällt ihnen, wie leicht es ist, mit dem Lesen zu beginnen: Man müsste ein solches Buch einfach nur aufschlagen.4

 

 

Download: VBL-Geschäftsbericht 2018, PDF, 14 MB

 

 

Quellen:
1 wissenschaft.de, Wie die Digitalisierung das Leseverhalten verändert, 21.12.2018.
2 FAZ, Gedruckt oder digital? Die Zukunft des Lesens, 2017.
3 Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, 2019.
4 wissenschaft.de, Wie die Digitalisierung das Leseverhalten verändert, 2018.